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  • Technische Orthopädie und Silikontechnik in Zürich

Klassifikation der Silikon-Fingerprothesen

Die Erfahrung vieler Versorgungen hat eine Struktur in die technischen Versorgungsmöglichkeiten einfliessen lassen.

2002 wurde eine systematische Klassifikation der fingerprothetischen Versorgung nach Stumpflänge und Bauart der Prothese von Michael Schäfer (Pohlig) veröffentlicht. Diese hat sich in der Praxis bewährt:

TYP I:
Silikon-Fingerprothese / DIP-Kurzschaftversion/ Endgliedversorgung

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen der Langfinger bis zur Gelenklinie des Distalen Inter-Phalangealgelenkes (DIP).
Beschreibung:
Der Amputationsstumpf empfindlich reagiert auf Berührung jeder Art. Es kommt schnell zu Reizungen und Irritationen, besonders im Bereich der Nähte (Narben), die ohne Kompressionsbehandlung leicht überschiessendes Gewebe entwickeln und eine hypertrophe Narbe bilden. Die funktionelle Silikonfingerprothese stellt einen, der Haut ähnlichen Schutz, der Stumpfoberfläche dar. Die Einbettung des Stumpfes in Silikonmaterial erhöht dessen Belastungsfähigkeit. Durch ihr viscoelastisches Verhalten verteilt die Prothese Druckzonen auf ein grösseres Hautareal und trägt somit durch hydrostatische Druckaufnahme erheblich zur Problemminderung am Stumpf bei. Die Prothese verteilt Belastungen gleichmässiger auf die Stumpfoberfläche. Silikon erzeugt keine allergischen Hautreaktionen und bringt bestehende zum Abklingen. Silikon hat sich in dermatologischen Tests als unbedenklich und als hervorragende Stumpfbettung erwiesen. Bei Vollkontakt zur Hautoberfläche diffundiert der Schweiss durch das Silikonmaterial . Diese Eigenschaft sorgt, nach einer Eingewöhnungszeit, für ein positives Haut-Mikroklima innerhalb der Stumpfbettung.

TYP IIa:
Silikon-Fingerprothese / PIP-Kurzschaftversion / Endgliedversorgung

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen der Langfinger bis einschliesslich zur Gelenklinie des proximalen Interphalangealgelenkes (PIP) mit einer Stumpfmindestlänge von 1,5 cm ab PIP.
Beschreibung:
Bei den nahezu identischen Endgliedversorgungen der Typ I- und Typ IIa- Fingerprothesen liegt der Schaftrandabschluss noch vor der Gelenklinie des PIP-Gelenkes. Dadurch wird die PIP-Gelenkbeweglichkeit vollständig erhalten. Silikon-Fingerprothesen dieser Kategorien erfüllen einen sehr hohen funktionalen Nutzen.

TYP IIb:
Silikon-Fingerprothese / PIP-Langschaftversion

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen der Langfinger bis einschliesslich zur Gelenklinie des Proximalen Inter-Phalangealgelenkes (PIP) mit einer Stumpflänge von 0-1,5 cm ab PIP.
Beschreibung:
Da die verbliebene Stumpfrestlänge (PIP-Stumpfende) zu kurz ist um eine ausreichende Verbindung zum Fingerstumpf zu gewährleisten, wird die PIP-Gelenkübergreifende Langschaftversion dieses Prothesentyps eingesetzt. Der Schaft der Fingerprothese ist möglichst dünn herzustellen, um die gute Beweglichkeit des PIP-Gelenkes zu erhalten.

TYP IIIa:
Silikon-Fingerprothese / MCP-Gelenk frei

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen der Langfinger bis einschliesslich zur Gelenklinie des Meta-Carpo-Phalangealgelenkes (MCP) mit einer Stumpfmindestlänge von > 2,5 cm ab MCP.
Beschreibung:
Je kürzer der Amputationsstumpf, desto schwieriger die Erfüllung funktionaler Anforderungen. Die Typ IIIa-Prothese muss bereits 2 Gelenke (PIP und DIP) kompensieren. Der Grundaufbau der Fingerprothese muss in einer vorflektierten Stellung der PIP- und DIP-Gelenke erfolgen, um eine gute Oppositionsfunktion zum Daumen zu erreichen. Durch diese fingerprothetische Versorgung werden ein funktionaler Zugewinn beim Greifen, sowie die Wiederherstellung der Hebellängen, mit einem deutlich grösseren Griffradius erreicht.

TYP IIIb:
Silikon-Fingerprothese / MCP-Gelenk übergreifend mit Klebeschafttechnik

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen der Langfinger bis einschliesslich zur Gelenklinie des Meta-Carpo-Phalangealgelenkes (MCP) mit einer Stumpfrestlänge von 0-2,5 cm ab MCP.
Beschreibung:
Da kein ausreichend langer Stumpf zur Befestigung der Fingerprothese durch Adhäsion der Stumpfbettung vorfindet, müssen alternative Befestigungsmechanismen zur Anwendung kommen.
Bei Einzelfingerprothesen hat sich eine Klebeschafttechnik bewährt. Sie bedeutet für den Anwender mehr Aufwand beim An- und Ablegen. Durch die frei wählbare Grösse der dünnen Schaftrandausläufer kann hier eine gute Fixation gewährleistet werden. Alternativ zur Klebeschafttechnik kann eine mechanische Befestigung an den benachbarten Fingern, durch bilaterale Fingerringmodule an der Fingerprothese, gewählt werden. Die Suspension (Haftung, Anbindung) der Prothese kann weiterhin auch durch eine zirkuläre Mittelhandumgreifung gewährleistet werden.
Die Stumpflänge und die Bewegungsmöglichkeit des MCP-Gelenkes sind von entscheidender Bedeutung für den funktionalen Nutzen. Bei sehr kurzen Amputationsstümpfen wird sich keine ausreichende Funktion im MCP-Gelenk darstellen können, dann wird die Fingerprothese in erster Linie zur Wiederherstellung von Körperbild und Gestalt der Hand dienen. Mit einem geringfügig längeren Stumpf und einer guten MCP-Gelenkbeweglichkeit wird eine funktionelle Nutzung beim Halten, Führen und sogar zum Schreiben am PC erzielt.
In Abhängigkeit zu den funktional erreichbaren Werten kann die Fingerprothese auch innen hohl gestaltet werden. Dadurch wird die Prothese wesentlich leichter und fügt sich schöner in das Körperbild ein. Sie ist für den Prothesenträger deutlich angenehmer zu tragen. Bei funktionalen Kurzstumpfversorgungen kann diese Schafttechnik  zusätzlich mit einem Justierelement versehen werden, so dass der Finger flexibel justierbar in unterschiedliche Stellungen positioniert werden kann.

TYP IVa:
Silikon-Daumenprothese / Langschaftversion bei Amputation des Daumen-Endgliedes

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen des Daumens bis einschliesslich zur Gelenklinie des Distalen Inter-Phalangealgelenkes (DIP).
Beschreibung:
Da der Daumen den Gegengriff in Opposition zu den Langfingern bildet, ist für viele Patienten bereits ein geringfügiger Längenverlust für die Funktionseinschränkung entscheidend. Die Daumen-Endgliedversorgung stellt die ursprüngliche Daumenlänge wieder her. Der lange Reststumpf ermöglicht eine hervorragend kraftübertragende Verbindung zwischen Prothese und Fingerstumpf. Da das fehlende Endgelenk des Daumens durch eine leichte Flexionsstellung der Prothese funktionell gut kompensiert wird, ermöglichen diese Versorgungen eine nahezu vollständige funktionale Wiederherstellung. Die Daumenprothese unterstützt den Anwender dabei nicht nur bei grobmotorischen sondern auch bei feinmotorischen manuellen Tätigkeiten.

TYP IVb:
Silikon-Daumenprothese, MCP-übergreifend

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen der Langfinger bis einschliesslich zur Gelenklinie des Meta-Carpo-Phalangealgelenkes (MCP) mit einer Stumpfmindestlänge von 1,5-2 cm ab MCP.
Beschreibung:
Auch bei, mechanisch ungünstigeren, kürzeren Stümpfen wird mit einer Silikon-Daumenprothese eine gute Funktion erzielt. Entscheidend für die funktionale Nutzung sind die Länge des verbliebenen Stumpfes und der Bewegungsumfang des MCP-Gelenkes. Eine Stumpflänge von 1,5-2 cm reicht aus einen guten Halt zu bieten. Der Schaftrandverlauf sollte soweit proximal wie möglich geführt werden und darf das MCP-Gelenk dezent überspannen.

TYP Va:
Silikon-Daumengegengriffprothese mit Mittelhandfixation

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen des Daumens bis einschliesslich zur Gelenklinie des Meta-Carpo-Phalangealgelenkes (MCP) mit einer Stumpfrestlänge von 0-1,5 cm ab MCP.
Beschreibung:
Bei dieser Variante ist eine Befestigung der Daumenprothese durch zirkuläre Stumpfbettung nicht möglich. Da der Daumen komplett ersetzt wird, muss die Mittelhand zur Befestigung der Daumenprothese in die Konstruktion eingebunden werden. Bei funktional ausgeprägtem Anforderungsprofil des Patienten muss zur Positionssicherung des Daumens der proximale Bereich des Zeigefingers ringförmig eingefasst werden. In Abhängigkeit zur gewünschten Funktion ist die Stellung des Daumens zu variieren. Um eine stabile Gegengrifffunktion zu gewährleisten, ist es günstig, den Daumen in eine vermehrte Adduktion und Oppositionsstellung zu den Langfingern DII und DIII zu bringen. Für leichtere Tätigkeiten und zum Schreiben empfiehlt sich eine neutrale bis leicht abduzierte Daumenposition.

TYP Vb:
Silikon-Daumengegengriffprothese mit Mittelhandfixation, ohne Stumpf

Einsatzgebiet:
Amputationen und angeborene Fehlbildungen des Daumens ohne sichtbare Stumpfbildung.
Beschreibung:
Diese Konstruktion ähnelt äusserlich der Typ Va-Prothese. Zur Gegengriff-Stabilisierung müssen, da kein Daumenstumpf vorhanden ist, stabilisierende Areale aus hochshorigem Silikon integriert werden und zusätzlich der Innenaufbau des Daumens mit einem flächengestützten CFK-Element erfolgen (CFK=Carbon-Faser-Kunststoff-Verbund).

Quellenverzeichnis:

DE CUBBER J. (1998) Beschreibung eines Verfahrens für die Verarbeitung von Silikon-Elastomeren zur Herstellung von Medizinprodukten, Verlag Orthopädie-Technik 4/98, S. 257-263
PILLET J. (1981) The aesthetic hand prosthesis. The orthop. clinics of North America – management of upper limb amputations, Saunders Verlag 1981 : 961-969
SCHÄFER M. (1998) Herstellung individueller orthopädie-technischer Komponenten aus Silikon, Verlag Orthopädie-Technik 6/98, S. 443-449
SCHÄFER M. (2002) Gestaltungskriterien und Klassifikation von individuellen Fingerprothesen aus Silikon, Verlag Orthopädie-Technik 8/2002, S. 635-645
SCHÄFER M. (2008) Exoskeletale prothetische Versorgungsmöglichkeiten nach angeborenen oder erworbenen Defekten an den oberen Extremitäten, Handchirurgie/Mikrochirurgie/Plastische Chirurgie, 2008;40; Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York